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Montag, 28.05.2012: Portomarin - Ventas de Narón (13,4 km)
Nach der Erfahrung von gestern habe ich mir in Portomarin von der netten Rezeptionistin des Hotels telefonisch die nächsten zwei Unterkünfte reservieren lassen.
Immerhin befinde ich mich nun auf der "Zielgeraden" des Camino!

Das merkt man ganz deutlich. Es sind viel mehr Pilger unterwegs. Viele von ihnen sind "Tourigrinos", eher Touristen als Peregrinos! Manche sind auch "Champiogrinos", solche, die sich durch besonders lange Etappen auszeichnen.

Viele sind nun sogenannte "Wochenpilger".
Das sind die, die nur die letzten 100 Kilometer in einer Woche absolvieren.
Mit noch viel Elan - haben ja gerade erst mit dem Pilgern angefangen; mit ordentlichen, sauberen Klamotten - ein Blick auf die Schuhe und man weiß Bescheid; mit kleinem Gepäck - man hat eine Woche mit Gepäcktransfer gebucht; insgesamt viel Unruhe und Stress verbreitend, und das ganze gerne in Gruppen: laut!
Es ist eine wahre Völkerwanderung inzwischen. Die "echten" Pilger belächeln diese Wochen-pilger und ziehen etwas ruhiger und langsamer weiter. Man merkt deutlich, dass bei uns die Entschleunigung des Camino Wirkung zeigt!

Allerdings hat diese Wochenpilger-Völkerwanderung auch die Auswirkung, dass diese Gruppen oft sämtliche Hostals oder auch die privaten Herbergen vorgebucht haben und diese dann für unsereins completo sind.
Darauf muss man sich eben einstellen.

Heute morgen ist es kühl und nebelig - ein wahrhaft galicischer Morgen. Später hebt sich der Nebel und die Sonne scheint. Überall begegnen mir nun die für Galicien typischen Getreidespeicher. Sie sehen wie kleine Häuser oder gar Kapellen aus, die irgendwie auf Stelzen stehen, damit Mäuse sich nicht über die Ernte hermachen können. Es gibt sie in allen Varianten: kleine, große, herausgeputzte, halb verfallene, aus Holz, aus Stein und und und!

Es geht zunächst viel entlang der Straße, dies ist etwas öde. Alle stürmen in Gonzar in die erste Bar nach Portomarin hinein.
Dort herrscht demzufolge Chaos! Maria und Karin kommen kurz nach mir hier an und wir gehen danach gemeinsam weiter.

In Ventas de Narón schließen die beiden sich meiner Etappenplanung an und wir bleiben alle drei in der Casa Molar.

Diese Herberge ist gut, die Zimmer sind geräumig, man kann sich angenehm draußen im Hof oder auf der Wiese vor der Bar aufhalten.
Was wir dann auch den ganzen Nachmittag tun. Irgendwie hat man wirklich immer genug zu tun - oder man meint es auf jeden Fall!

Dabei beobachten wir eine Gruppe merkwürdig auftretender "Adliger". Sie benehmen sich, als müssten die Besitzer der Bar und Albergue ihnen "zu Diensten" sein! Sie kommen wirklich ziemlich arrogant rüber. Wir wissen nicht so recht, ob wir erbost oder amüsiert sein sollen, das Auftreten könnte auch in einen Sketch von Loriot passen!
"Sehr bemüht, die Dame, aber mit wenig Erfolg!" ist einer der Sprüche über die Hospitalera, die sich abmüht, den Wünschen gerecht zu werden.
Später ruft der verantwortliche Leiter der Gruppe laut hinter einer Dame her: "Frau von Hohenstein, hier lang, Frau von Hohenstein hier lang!" Das hätte eben auch von Loriot sein können.

Erkenntnis des Tages: Die Schuhe verraten den Wochenpilger!

 
Dienstag, 29.05.2012: Ventas de Narón - Pontecampaña (16,7 km)
Um 8.10 Uhr ziehen wir zu dritt weiter. Wieder herrscht Morgennebel, das wird in Galicien so bleiben, auch wenn es tagsüber richtig warm wird.

Wir drei passen gut zusammen, man redet und erreicht ohne es richtig zu merken Palas de Rei. Kein wirkliches Kleinod, aber Maria findet in ihrem spanischen Pilgerführer mal wieder einen Geheimtipp: Die Bäckerei La Dulce Maria - die süße Maria!
Das ist dann natürlich unser Ziel für eine Kaffeepause.

Die Informationen aus Marias spanischem Reiseführer sind Gold wert, sie ergänzen unseren deutschen Führer mit vielen touristischen Tipps und genauesten Entfernungsangaben.

Die zwei sind unterwegs noch etwas unschlüssig, wie weit sie heute gehen wollen, aber der zweite Teil des Weges zieht sich dann doch, wohl weil es wieder ziemlich heiß wird. Ich schwärme ihnen von den Empfehlungen der Herberge in Pontcampaña vor und sie wollen sie sich erst ein mal angucken.

Wir sind überwältigt! Die Casa Domingo ist ein Traum! Man erkennt die Liebe zum sinnvollen Detail: Haken, Ablagebretter, solide Betten, die nicht quietschen oder knarren. Dazu die Lage! Inmitten von saftigen grünen Wiesen, Innenhof mit Sitzgelegenheiten, Hängematte, Liegewiese... Das ganze ist ein altes liebevoll renoviertes Steinhaus!
Übrigens weiß auch die kanadische Barfuß-Pilgerin von den Vorzügen dieser Herberge. Wir erfahren, dass sie am Vortag mir ihrer Gruppe hier übernachtet hat.

Es ist nach dieser Beschreibung eigentlich keine Frage, wozu sich Maria und Karin entschei-den: sie bleiben hier! Wobei sie Glück haben, denn wir sind so früh hier, dass noch Betten frei sind.
Wenn man hier übernachten will, sollte man vorher reservieren, damit man auf der sicheren Seite ist.

In dieser Herberge wird für die Pilger gekocht und es wird gemeinsam an einem langen Tisch gegessen. Sehr lecker! Es gibt dreierlei Suppe: Garbanzas (Kichererbsen), Lentejas (Linsen), Caldo Gallego (galicische Gemüsesuppe). Danach Salat, Nudeln, Fleischbällchen in Tomatensoße und Joghurt. Natürlich auch Wein und Wasser. Alles ist prima gewürzt, was in Spanien nicht immer der Fall ist, man spart hier oft am Salz!

Erkenntnis des Tages: Drei sind nicht einer zu viel!

 
Mittwoch, 30.05.2012: Pontecampaña - Ribadiso (22,3 km)
Noch 1 Woche! Rudi hat für mich einen Rückflug für den 1. Juni gebucht. Das ist locker zu schaffen, es sind ja nur noch 61 km bis Santiago. Zeit für die Stadt und für einen Ausflug nach Finisterre bleibt dann auch noch.

Karin und Maria haben sich für heute vorgenommen, mal jeder für sich zu laufen, denn das haben sie in der ganzen gemeinsamen Zeit noch nie getan! Jeder soll so los laufen, wie er fertig ist und sie wollen recht früh los.

Ich bin erst eine kleine Weile nach den beiden auf der Piste. Aber ganz alleine bleibe ich heute auch nicht. Bei der ersten Kaffeepause in Coto schließt sich mir Renate aus Nürnberg an. Wir gehen bis Melide gemeinsam und trennen uns dort nach einer kurzen Rast wieder.
Ich bin eigentlich ganz froh, wieder ohne sie weiter zu laufen, auch wenn wir uns gut unterhalten haben, aber sie war dann doch nicht so ganz meine Kragenweite!

Die heutige Etappe in Stichworten: viel gute Luft, viel Wald, der erste Eukalyptuswald, viel rauf und runter, zunehmend heiß und zunehmend anstrengend.

Kurz vor Ribadiso hole ich Maria und Karin ein. Sie sind das letzte Stück dann doch wieder gemeinsam gelaufen.

Wir kommen in der öffentlichen galicischen Herberge unter. Sie ist sehr schön an einem kleinen Flüsschen gelegen, sehr sauber und geräumig genug. Es gibt eine große Küche dort, mit 6 Herdplatten, aber keinerlei sonstigem Küchenmaterial: kein Geschirr, kein Besteck, keinen einzigen Topf! Gottseidank haben wir nicht beschlossen, hier zu kochen, dann hätten wir alle Zutaten umsonst mitgeschleppt!

Aber verhungert oder verdurstet sind wir auch nicht: nebenan gibt es eine gut besuchte Bar!
Dort verbringen wir dann auch unsere Zeit: nachmittags schmeißen wir ein paar Reste - galicischen Käse und Chorizo - zusammen und bestellen pimientos de padrón und Brot dazu. Außerdem genehmigen wir uns große claras (die spanische Variante vom Radler).
Es geht uns richtig gut!

Zumindest kulinarisch. Wir bzw. Maria versuchen nämlich für morgen eine Übernachtung zu reservieren! Das ist schier unmöglich. Überall, wo Maria anruft, ist alles schon completo!
Alle Hostals sind ausgebucht!
Dann versucht Maria, für mich ein Zimmer in Santiago zu reservieren, ich habe einige Empfehlungen - alle winken ab! Man sollte wohl nicht am Wochenende in Santiago ankommen und übernachten wollen, dann kommen nämlich auch alle Wochenpilger an: Montag bis Sonntag sind sie auf dem Camino!

Dann kommt wieder mal die jakobäische Fügung ins Spiel: es gibt zwar kein Einzelzimmer für mich alleine in Santiago, aber ein Dreierzimmer ist verfügbar! Also werden wir drei die Ankunft in Santiago gemeinsam feiern! Das ist doch prima!

Auch abends genießen wir spanische Köstlichkeiten in der Bar nebenan, bevor wir uns in die Betten zurückziehen.

Erkenntnis des Tages: Die Chemie muss stimmen!

 
Donnerstag, 31.05.2012 : Ribadiso - Pedrouzo (23 km)
Heute wird "zurück-gekruschelt"! Wir wollen früh los, es soll heiß werden und wir wollen bis Pedrouzo kommen.
Karin, die sich zu Beginn der Pilgerreise erst etwas mühsam an die morgendlichen Störungen gewöhnen musste, genießt es, dass heute morgen wir diejenigen sind, die für Unruhe sorgen!

In Arzúa frühstücken wir im "ersten Haus am Platz", wortwörtlich: es ist tatsächlich das erste Hotel mit Bar, auf das wir in Arzúa stoßen und das Frühstück ist das beste auf dem Camino bisher!

Karin läuft den ersten Teil flotten Schrittes mit Ralph aus dem Saarland, den wir den "Nur-Hostal-Schläfer" getauft haben.
Wir lassen sie ziehen, Maria und ich haben so in etwa das gleiche Tempo und die gleichen Schwierigkeiten mit Steigungen und Hitze.

Obwohl es auch heute wieder viel durch den Wald geht, spüren wir die Hitze ganz deutlich. Außerdem sind Heerscharen von Wochenpilgern unterwegs.

Um 13.45 Uhr kommen wir in Pedrouzo an und steuern dann mir empfohlene Porta de Santiago an.
Es ist schon recht voll, aber wir bekommen noch Platz in der unteren Etage. Super! Da ist es angenehm kühl durch eine Klimaanlage. Überhaupt ist es angenehm in dieser Herberge.
Wir nehmen sie in die Liste unserer Favoriten auf, da ganz oben an der Spitze.
Man hat Platz, selbst in den unteren Betten kann man sitzen ohne sich den Kopf zu stoßen, die Betten sind sehr massiv und groß, es gibt genug Hocker und Ablagemöglichkeiten, die Sanitärs sind Klasse.

Wir gehen nach den Pflichtaufgaben an der Hauptstraße essen: pulpo und pollo (Krake und Huhn). Lecker!

Den größten Teil des Nachmittages verbringen wir in der Albergue auf den Betten, dort ist es angenehm kühl und die Hintergrundmusik dudelt und lullt einen beruhigend ein!

Maria macht sich fein für den"Einzug" nach Santiago morgen. Sie geht zum Friseur und sie putzt ihre Wanderschuhe! Sie könnte ja doch noch beim Einzug auf Verwandtschaft treffen, da will man ordentlich aussehen!

Überhaupt ist im Ort eine recht ausgelassene Stimmung: Man hat es bald geschafft! Darüber freut man sich und man ist stolz!
Wir haben heute sogar eine Stunde länger - bis 23.00 Uhr - Ausgang! Das freut uns besonders, weil es sehr warm ist und man abends gut draußen sitzen kann.

Dann haben wir sogar noch die Möglichkeit, eine weitere Camino-bekannte Pilgerin zu fotografieren. Eine 84-jährige Italienierin ist mit ihrem Sohn - auch nicht mehr sooo jung - auf dem Camino. Sie ist eine Attraktion, in dem Alter! Sie scheint auch stolz auf ihre Leistung zu sein, denn sie stellt sich sehr bereitwillig den zahlreichen Fotografen auf der Pilger-Flaniermeile.
Man hat sie immer wieder auf dem Camino gesehen, Mutter und Sohn Hand in Hand! Ein herrliches Bild. Es kursierte die Geschichte, dass die alte Dame einmal aus dem Bett gefallen sei und sich übel das Gesicht gestoßen habe. Woraufhin ihr Sohn gesagt hat: "Was musst du auch immer da unten nach Kaninchen suchen!"

Erkenntnis des Tages: Der Blick auf die Dinge hat sich verschoben: Luxus sind Dinge wie gute Betten, kühle Räume, genügend Duschen.

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